Wirkliche Frömmigkeit beschränkt sich nicht auf Gebete, Gottesdienstbesuche, Hauskreise und Bibellese: Sie gehören zweifelsohne und unabdingbar dazu und sind äußerst wichtig, um den Willen Gottes kennen zu lernen und zu Ihm eine lebendige Beziehung aufrecht zu erhalten, doch damit alleine ist es nicht getan. Gottes Willen setzen wir durch tätige Nächstenliebe um. So schreibt Johannes in seinem 1. Brief, Kapitel 4, Vers 20: "So jemand spricht: "Ich liebe Gott", und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht?" Anders ausgedrückt: Wenn ich die Not eines Glaubensbruders sehe und nicht helfe, obwohl ich könnte, dann stellt sich nicht nur die Frage, wie es um meine Nächsten- und Geschwisterliebe bestellt ist, sondern auch die Frage, wie es um meine Gottesliebe bestellt ist.
Sicher haben wir alle unterschiedliche Begabungen und Möglichkeiten, und nicht allein die Einnahmen, die jemand hat, entscheiden darüber, wie groß eine materielle Hilfe sein kann, sondern auch die Kostenstruktur, die der Einzelne hat. Die Zeit, die man in die Reich-Gottes-Arbeit investieren kann, hängt auch nicht allein davon ab, wie viel Stunden Arbeit man an seinem Arbeitsplatz verbringen muss, sondern auch, wie viel Zeit der Arbeitsweg in Anspruch nimmt, welche Verpflichtungen man in der Familie hat und über welche körperlichen Kräfte man verfügt. Und doch haben wir sicherlich alle die Möglichkeit, uns einzubringen und Nächstenliebe zu üben. Dabei geht es nicht allein um die durch Hiob genannten Beispiele, sondern auch um das, was im Alltag um uns herum geschieht. Auch unsere Kollegialität zeigt ein großes Stück weit, wie es um unsere Nächstenliebe bestellt ist.
Und es geht auch nicht alleine darum, Arme, die es nötig brauchen, materiell zu unterstützen, sondern auch, sich zu überlegen, wie man Strukturen beseitigt, die eben diese Armut verursachen und auch darum, sich dort einzubringen, wo Armen geholfen wird. Tafeln brauchen ja nicht nur Spender, sondern auch ehrenamtliche Mitarbeiter, und dies gilt auch für Armenküchen, Wärmestuben, Bahnhofsmissionen und andere.
Darüber hinaus ist es auch nicht verboten, kreativ zu sein: Gott gab uns unseren Verstand nicht, damit dieser in unserem Kopf verstaubt und verrostet, sondern er ist zur Nutzung frei gegeben. So weiß ich, dass an einer Stelle Bücher gesammelt werden und aus deren Verkauf man die Arbeit für Arme unterstützt. Als ich mal Bücher geschenkt bekam, die mich selbst nicht interessierten, brachte ich sie mit der Einwilligung des Betreffenden dorthin.
Nächstenliebe kann auch bedeuten, Trost zu spenden oder einfach da zu sein und zuzuhören, wenn es jemand schlecht geht oder jemanden einzuladen, der einsam ist. Es kann der Willkommensgruß für einen neu hinzugezogenen Nachbarn sein oder das Willkommen für einen neuen Kollegen. Es ist die Kleiderspende zugunsten von Bethel oder von Bolivien, es kann das Sammeln von Briefmarken sein für die Karmelmission oder eine Behindertenwerkstatt. Es kann der Besuchsdienst in der Gemeinde genauso gut sein wie der Besuchsdienst grüner Tanten und Onkels in Seniorenstiften und Krankenhäusern. Nächstenliebe hat viele Variationen und entspricht dem Willen Gottes, wenn sie ehrlich und zu Seiner Ehre getan wird.
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