"Rache ist süß und macht nicht dick!", so witzelt man gern. Meistens geht es dabei um eine gute Retourkutsche, wenn man sich spaßeshalber gegenseitig ein wenig durch den Kakao zieht. Doch im Alltag geht es sehr oft um wirkliche, handfeste Rache. Sei es, dass man seinen Feind verklagt, sei es, dass man ihn zu verleumden versucht, sei es, dass man versucht, sein Eigentum zu stehlen oder zu zerstören. Rache hat viele Schattierungen, und sie kann sich sogar hinter der Maske der Hilfsbereitschaft und des Wohlwollens verstecken.
Die Fantasie der Menschen hat hier oft keine Grenzen: Rache und der damit verbundene Hass schlägt neue Wunden und schaukelt sich so hoch. In südlichen Ländern war die Blutrache noch bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein gang und gäbe, und die Aussöhnung fiel oft schwer. Blutrache brachte Leid und Tränen über Generationen hinweg in die zerstrittenen Familien hinein, die oft selbst nicht mehr wussten, wie alles eigentlich begonnen hatte und was der Grund für den Hass und die Spirale der Rache gewesen ist. Oft ging der Riss durch ganze Dörfer hindurch.
Auch zwischen den Völkern wurden Kriege geführt, weil ein Land sich durch ein Anderes ungerecht behandelt fühlte, und der Verlierer des Krieges, der dem Land, das gewonnen hatte, Gebiete abtreten und Reparationen bezahlen musste, sann auf Rache: Oft hat ein Krieg so die Grundlage für einen neuen gelegt. Die unselige jahrhundertealte Erz- und Erbfeindschaft zwischen Deutschland und Frankreich kostete Millionen von Menschen das Leben. Gut, dass unsere beiden Länder jetzt eine Erz- und Erbfreundschaft haben; dadurch haben beide Staaten und ihre Bewohner gewonnen.
Deshalb mahnt Gott uns ja auch zur Feindesliebe. Wer seinem Feind, der in Not ist, hilft, durchbricht den Kreislauf von Gewalt und Hass, von Rache und Gegenrache. Mir selbst ist es zweimal sehr schwer gefallen, Menschen zu helfen, die meine erklärten Feinde gewesen sind. Am Ende bin ich froh, dass ich über meinen eigenen Schatten gesprungen bin: Das hat den weiteren Umgang mit den Beiden erheblich vereinfacht. Auf gut deutsch: Ich habe mir selbst einen Gefallen getan, und zwar einen großen. Gottes Gebote sind nun einmal die allerbesten, weil sie vollkommen sind.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland ebenfalls sehr viel Hilfe von seinen ehemaligen Feinden bekommen: Die Briten spendeten, obwohl es ihnen selbst alles andere als rosig ging, und der US-amerikanische Marshallplan sowie die aus Amerika kommenden Care-Pakete halfen den Deutschen beim Überleben. Während der Berlin-Blockade durch die Sowjets waren die britisch-amerikanischen Rosinenbomber der Garant für das Überleben der Westberliner. Die deutsche Wiedervereinigung verdanken wir dem Gebet der Christen, dass uns das Wohlwollen der einstigen Siegermächte einbrachte, ohne die diese Wiedervereinigung nicht möglich gewesen wäre.
Dem Feind in der Not zu helfen, gilt also in der großen Politik genauso wie in unserer eigenen mehr oder weniger kleinen Welt. In jedem Fall ist es immer ein Segen, für den Feind genauso wie für uns. Und oft sind dadurch Feinde zu guten Freunden geworden.
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