In der Schulzeit haben wir nicht nur Rechnen, Lesen und Schreiben gelernt, man brachte uns nicht nur Malen, Werkeln und Formeln bei, man lehrte uns nicht nur Geschichte, Sozialkunde und Sprachen, sondern man zeigte uns, wie man lernt: Damit wir bestimmte Inhalte behalten, ist es notwendig, bestimmte Texte nicht nur einmal zu lesen, sondern mehrmals. Wer sich auf eine Klassenarbeit, eine Klausur oder eine Prüfung vorbereitet, befasst sich intensiv mit den in Frage kommenden Texten. Doch nicht nur das Durchlesen der Texte als solches ist entscheidend: Ein Lehrer erklärte uns, dass wir uns immer wieder die Frage stellen müssen, was am Text besonders wichtig ist; deshalb arbeiteten wir in unseren Fachbüchern mit Textmarkern.
So mache ich das auch mit der Bibel: Ich lese sie pro Jahr einmal durch. Dabei benutze ich Textmarker mit verschiedenen Farben: Ein dunkles Orange markiert Texte, die über den Glauben gehen, ein helles Rot markiert die Gebote, blau die Aufgaben von Männer und Frauen, und Gelb markiert die Stellen über die Göttlichkeit der Person Jesu Christi. Das erleichtert die Suche und weist darauf hin, was besonders wichtig ist.
Der Mensch erinnert sich am Besten an das, was er selbst aufgeschrieben hat; das ist so wie mit einem Einkaufszettel: Das Meiste, was wir uns aufgeschrieben haben, tun wir so in den Einkaufskorb ohne den Einkaufszettel zu gebrauchen. Ein Lehrer empfahl uns damals aus eben diesen Grund, dass wir uns Pfuschzettel machen sollten und sagte: "Natürlich dürft ihr sie nicht benutzen; ihr wisst, dass jeder, der mit einem solchen erwischt wird, die Arbeit abgenommen und als Note eine ungenügend bekommt, doch wenn ihr Pfuschzettel vorbereitet, dann braucht ihr sie nicht, weil ihr euch ja merkt, was wichtig ist!" Deshalb mache ich mir auch Notizen über das, was ich gelesen habe.
Im Deutschunterricht mussten wir auch Interpretationen schreiben und unsere Ausführungen mit den entsprechenden Textstellen belegen. Es war die Frage: "Was will uns der Dichter damit sagen?"
Beim Lesen der Bibel stellt sich für uns die Frage, was Gott uns sagen will.
Natürlich bin ich von der historischen Zuverlässigkeit der Bibel überzeugt: Für mich ist der Schöpfungsbericht im buchstäblichsten Sinne wahr. Auch der Brudermord Kains an Abel hat stattgefunden, und die Wunder Jesu lassen sich realistischerweise genausowenig wegdiskutieren wie Sein Sühnetod und Seine Auferstehung.
Zugleich muss ich aber auch verstehen, was Gott mir mit diesen Berichten sagen will: Lese ich den Schöpfungsbericht, so heißt dies nicht nur, dass Gott in sechs Tagen alles geschaffen hat, sondern auch, dass die gesamte Schöpfung Ihm gehört und ich sie deshalb mit Respekt zu behandeln habe. Wer die Schöpfung als Gottes Eigentum versteht, wird die Natur nicht zerstören und Tiere nicht quälen; er wird andere Menschen als das Ebenbild Gottes sehen und entsprechend behandeln. Die Frage Kains, ob er der Wächter seines Bruders ist, sagt uns, dass es bei Gott keine Ausreden und keine Ausflüchte gibt, aber auch, dass wir mitverantwortlich sind für das Wohlergehen unserer Mitmenschen. Die Wunder Jesu sollen uns die Liebe Gottes verdeutlichen und Seine Allmacht erläutern. Das stärkt unser Vertrauen in Gott.
Wer Texte liest, mag sie eines Tages sogar auswendig kennen; das bedeutet aber nicht, dass er sie auch verstanden hat. Wir müssen uns mit den Texten also auseinandersetzen. Wir müssen - wie in der oben beschriebenen Interpretation - uns die Frage stellen, was der Text uns - außer einem Ereignis - sonst noch sagen will. Deshalb erklären gute Vorgesetzte ihren Mitarbeitern auch immer, warum diese oder jene Entscheidung so getroffen worden ist, denn was man versteht, das macht man auch lieber, weil man den Sinn dahinter erkennt.
Es nützt auch nichts, zum Beispiel alle Werke von Goethe oder Schiller auswendig zu kennen, wenn man deren Aussage nicht verstanden hat. Aus der Schule wissen wir, dass diejenigen Schüler die Besten sind, die den Stoff verstanden haben. Was nützt es uns, sämtliche mathematisch-physikalischen oder chemischen Formeln auswendig zu kennen, wenn wir sie nicht anwenden können?
Deshalb ist es gut, die Erklärungen des Lehrers aufmerksam zu verfolgen. Gott erklärt Sein Wort gerne, wenn wir Ihm im Gebet fragen. Doch nicht nur Seine direkten Erklärungen sind sinnvoll: Wir tun gut daran, mit anderen Gläubigen Gemeinschaft zu haben. Die Predigten und Auslegungen eines gläubigen Pfarrers helfen uns beim Verständnis des Gottes Wortes genauso wie der Austausch in Bibelkreisen oder das Lesen von Büchern bibelgläubiger Autoren.
Trotzdem dürfen wir an diesem Punkt nicht stehenbleiben, wenn wir wirklich aus der Bibel lernen wollen: Wir müssen das Verhalten, das Gott uns erklärt, also das Halten Seiner Gebote, auch einüben. Kochen und Backen lernt man ja auch nicht allein dadurch, dass man sämtliche Rezepte in- und auswendig kennt. Ein Auto fahren zu können, ist auch mehr als die Kenntnis diverser Verkehrsregeln. Ältere Arbeitnehmer bekommen Aufgaben nicht deshalb besser erledigt, weil sie körperlich fitter wären als die Jüngeren: Gerade bei Knochenarbeiten sind die Jüngeren, Unverschlisssenen meistens körperlich fitter, und doch sind die "Alten" schneller, weil sie die Tricks und Kniffe eingeübt haben.
So ist es auch mit den Geboten: Wenn ich die Sabbatheiligung einübe, dann wird sie eines Tages selbstverständlich. Wenn ich regelmässig bete, dann wird es für mich selbstverständlich. Wenn ich Gottes Wort regelmäßig lese, dann gehört es eines Tages einfach dazu. Wenn ich Ehrlichkeit, Nächstenliebe, Sanftmut und Friedfertigkeit praktiziere, dann werde ich darin richtig gut. In der Lehre und in der Fahrschule übt man ja auch die Praxis ein. Der Drill bei den Armeen hat ja ebenfalls diesen Effekt: Wer eine Waffe oft genug auseinander- und wieder zusammenbaut, der kennt sie irgendwann in- und auswendig.
Feuerwehren und Katastrophenschutz, Sondereinsatzkräfte und Rettungssanitäter üben immer wieder den Ernstfall, um dann, wenn es darauf ankommt, richtig fit zu sein.
Wer die Gebote Gottes einübt, erreicht ebenfalls, dass er darin immer besser wird. Gerade bei den biblischen Geboten sollten wir daran denken, dass hier Übung den Meister macht.
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