Da war jemand blind geboren und Seine Jünger fragten Ihn, wer da gesündigt habe: Der Blinde selbst oder die Eltern. - Ein solches Denken finde ich grausam. Sicher: Wir alle - auch jene mit Handicaps - haben gesündigt und sind deshalb vor Gott schuldig. Doch müssen wir deshalb in einer Behinderung, in einer Krankheit immer gleich eine Strafe sehen?
Gott lässt bestimmte Dinge zu, die wir nicht zu verstehen mögen. Manchmal ist das, was wir als einen Fluch empfinden, sogar ein Segen für uns und für andere. Wer weiß, warum ein gläubiger Christ zum Beispiel, der ganz und gar für Gott lebt und alles tut, der an sich selbst geizt, um jeden Cent, den er so abzweigen kann, für das Reich Gottes investiert, der seine ganze Zeit für Gott und Sein Evangelium und seine ganze Kraft einsetzt, nur deshalb krank geworden, dass er seine Kräfte schont und sich auch einmal Zeit nimmt, auf Gott zu hören wie einst Maria, die zu Jesu Füssen sass und dem Meister zuhörte, während Martha besorgt und im Dauerstress war. Und vielleicht dient es auch dazu, dass eben dieser Christ zum Arzt oder zu mehreren Ärzten, eventuell sogar ins Krankenhaus muss, um den Beschäftigten im Gesundheitswesen die Frohe Botschaft zu Jesus zu bringen.
Selbst seelische und neurologische Erkrankungen kann Gott nutzen, damit der Erkrankte ein Zeugnis bei denen ist, die an denselben Krankheiten leiden bzw. bei den Therapeuten, die diese behandeln. Auch manche Langzeitarbeitslosigkeit benutzt Gott, damit der Betreffende das Evangelium unter seinen Leidensgenossen weiterbringt. Hier spreche ich aus Erfahrung: Ohne die Langzeitarbeitslosigkeit hätte ich die Vielen nicht gesehen, die in den Ein-Euro-Jobs meine Kollegen gewesen sind. Wer weiß, ob da nicht eine Frucht aufgeht? Gott hat immer das Große und Ganze im Blick und zugleich jedes Detail; Er führt immer richtig, gibt immer ausreichend und stets zum richtigen Zeitpunkt.
Bei dem oben genannten Blinden hat Gott Seine Größe durch Jesus Christus gezeigt, Seine Gnade und Seine Macht, Seine Liebe und Sein damit verbundenes Wirken. Durch die Heilung des Blinden zeigt Jesus nicht nur Seine Macht und Seine Liebe zu uns, sondern auch, dass Er auf unserer Seite steht und usere Bedürfnisse und Hoffnungen kennt und für uns da ist und an uns zu unseren Gunsten handelt. Damit zeigt Gott uns, dass Er nicht irgendwo in der Ferne thront, sondern vielmehr, dass Er an uns und unserem Schicksal interessiert ist. Deshalb dürfen wir eine lebendige Beziehung durch Jesus Christus zu Ihm haben. Er freut sich wie ein Vater, der Er ja auch ist, wenn sich Seine Kinder an Ihn voller Vertrauen wenden wie der Blinde.
Zugleich wird in dieser Geschichte deutlich, dass sich an Jesus immer schon die Geister geschieden haben: Die einen erkennen in Jesus den Messias, die anderen versuchen zu relativieren, die einen sehen, dass Jesus heilt, die anderen versuchen alles, um zu relativieren und die Beweise auszuhebeln. Sie befragen sämtliche Zeugen, tragen alle Zweifel zusammen, versuchen zu widerlegen; dafür geben sie sich sogar den Anstrich scheinbarer Wissenschaftlichkeit wie in der alles andere als bewiesenen Evolutionstheorie oder durch die historisch-kritische Methode, die aber nur vermutet und von der biblischen Wahrheit ablenkt. Am Ende aber müssen alle Knie sich beugen und bekennen: Jesus ist der Herr, und niemand kommt zum Vater denn durch Ihn.
Der Blinde, der sehend geworden war, kannte keine Furcht, sondern bekannte freimütig, von Jesus geheilt worden zu sein. Zunächst wusste er nicht, wer ihn geheilt hatte, doch als er erfuhr, dass Jesus der Christus ist, warf er sich vor Ihn und betete an. Damit erkannte Er Jesus als Seinen Herrn an und war voller Dankbarkeit; anders als seine Eltern kannte er dabei keine Menschenfurcht. Dies spricht in unser aller Leben hinein, denn oft haben wir Angst und Menschenfurcht, die uns daran hindert, Jesus zu bekennen trotz aller Wohltaten, die Er uns erwiesen hat, uns erweist und noch erweisen wird. Sind wir uns nicht bewusst, dass Er sich einmal für uns vor den Engeln schämen wird, wenn wir uns Seiner vor den Menschen schämen?
Die Pharisäer - verblendet von ihrer Meinung über sich selbst - warfen Jesus vor, ein Sünder zu sein: Sie hielten den Blinden für einen Jünger Jesu, der dieser zu diesem Zeitpunkt, da ihn die Pharisäer verhörten, noch nicht war, aber der Blinde erkannte bereits, dass Jesus kein Sünder war, denn hört Gott auf die Ungerechten? - Nein! Deshalb tun wir ja auch gut daran, in Jesu Namen zu bitten, dem Einzigen, der gerecht ist und der auf der Erde einhunderttausendprozentig den Willen Gottes getan hat ohne den allerkleinsten Abstrich. Deshalb werden wir ja auch gerecht, wenn wir uns unter Sein Blut stellen und uns reinwaschen lassen in eben diesem Blut, dass Er für uns, der sündlos war, vergossen hat, um den Preis für jene Strafen zu zahlen, die wir mit unseren Sünden verdient hätten.
All das verstanden die Pharisäer nicht: Sie hielten sich für Jünger Moses, aber wären sie es wirklich gewesen, dann hätten sie Jesus erkennen müssen, denn bereits Moses sah Jesus als den Messias voraus und sprach von Ihm. Die Pharisäer krallten sich mit aller Vehemenz an das Gesetz und an ihre menschlichen Traditionen, die sie drumherum gestrickt hatten und sahen nicht, dass sie dabei das Eigentliche, Wesentliche, nämlich Gott und Seine Liebe außer Acht ließen.
Was nützen alle Schlacht-, Dank- und Sühnopfer ohne Liebe und Barmherzigkeit, um die es Gott eigentlich wirklich geht? Ebenso setzt Gott Prioritäten: Auch die Priester arbeiten im Gottesdienst am Sabbat, und wenn sie einen Knaben am achten Tage nach dessen Geburt beschneiden, dann fällt dieser nicht immer auf einen normalen Werktag, sondern oft auch auf einen Sabbat. Dabei bleiben die Priester ohne Sünde wie auch einst David und seine Begleiter, die hungrig gewesen sind und sich auf der Flucht vor Saul befanden und die Schaubrote aßen, die nur den Priestern vorbehalten waren: David und die Seinen blieben da selbst ohne Schuld, obwohl im Normalfall der Tod auf eine solche Tat stand.
Auch wenn es am Sabbat verboten ist, die Alltagsgeschäfte zu erledigen, weil es ein Tag der Ruhe ist, an dem wir Gott preisen sollen, so ist es nicht verboten, das zu tun, was erforderlich ist: Wer lässt schon ein Tier im Graben liegen, das dort um Hilfe jault? Und was ist das für ein schrecklicher und erbärmlicher Mensch, der seine Tiere nicht zur Tränke führt und ihnen das Futter verweigert, nur weil Sabbat ist? Wieviel mehr ein Mensch, der unsere Hilfe braucht!
Letztendlich müssen Polizei und Feuerwehren, Katastrophenschutz und Rettungsdienste, Gesundheitswesen und Seelsorger auch an Sonn- und Feiertagen ihren Dienst versehen, weil Verbrechen, Feuer, Unfälle, Katastrophen, Krankheiten und Notfälle sich eben nicht an die üblichen Arbeits- und Bürozeiten halten. Es wäre fatal, wenn die Feuerwehr zum Beispiel nicht an einem Sonntag ausrückten oder die Polizei nicht zu denen käme, die dringend Hilfe und Schutz brauchen, weil zufälligerweise der Tag auf einen kirchlichen Feiertag fiele.
Jesus hat klar gemacht, dass es auf die Umstände und auch auf die Motivation ankommt: Es macht einen Unterschied, Gutes zu tun und das Erforderliche zu leisten oder profitgierig Geschäfte zu machen oder sich nur deshalb in die Arbeit zu stürzen, um jegliche Ruhe zu vermeiden, damit man bloss nicht in Versuchung kommt, an Gott zu denken.
Es ist etwas Anderes, Kranke am Sabbat zu pflegen wie Bücher zu drucken: Letzteres kann man auch genauso gut an einem Werktag erledigen.
Gleichzeitig weist Jesus auch auf unsere Verantwortlichkeiten hin: Es macht einen kleinen, aber dennoch gewaltigen Unterschied, ob ich sehend bin oder blind: Dies ist hier in einem übertragenen Sinn zu verstehen. Ein Nichtschwimmer, der nicht ins Wasser springt, um einen Ertrinkenden zu retten, bleibt ohne Schuld, wenn er alles daran setzt, Hilfe zu organisieren; derjenige aber, der gut genug schwimmen kann, um den Ertrinkenden zu retten, ist in der Pflicht.
Johann Wolfgang von Goethe, unser großer Dichterfürst, sagte einmal: "Über sein Können hinaus ist niemand verpflichtet!" Diese Weisheit hat Jesus ohnehin schon von Ewigkeit an erkannt. Er kennt unsere Begrenzungen und unsere Schwächen, unser Bemühen und unseren Kampf. Er weiß das Scherflein der Witwe - so wenig es auch prozentual im Spendentopf sein mag - mehr zu schätzen als die Millionenbeträge, die Einzelne geben aus ihrem Überfluss, womit jedoch nicht gesagt sein soll, dass man nicht das tun soll, was man tun kann. Es bedeutet lediglich, dass niemand mehr geben kann als er selbst hat. Von unserem 24-Stunden-Tag kann niemand 48 Stunden abzweigen. Aber die Zeit, die wir geben können, fordert Gott von uns ein. Wir sind ohne Sünde, wenn wir eine gute Tat, so dringend sie auch benötigt wird, nicht tun, weil wir sie nicht tun können, doch wehe uns, wenn wir sie unterlassen, obwohl wir könnten!
Dabei dürfen wir auch nicht vergessen, dass wir Lernende sein sollen: Wir dürfen nicht uns bequem ins Sofa setzen und bloß nichts lernen wollen, damit wir nicht in die Pflicht kämen. Ein solches Verhalten ist schon eine Sünde an sich. Wer aber zu lernen bereit ist, wer Gott bittet, ihm die erforderliche Weisheit zu geben, das Gute zu tun wie es einst bei seinem Amtsantritt König Salomo tat, der geht in die richtige Richtung. Wir dürfen nicht sein wie die Pharisäer, die sich allein auf ihre Schriftkenntnis verlassen haben und auf ihre Gerechtigkeit, die nur vordergründig war, sondern wir sollen wie der Samariter handeln, der - aller Gefahr zum Trotz - die Hilfe gewährte, die er geben konnte, aus Liebe heraus.
Der Blinde hat diese Liebe durch Jesus selbst erfahren und gab Seinen Dank und Seine Anbetung, allen Anfeindungen zum Trotz. Deshalb wurde der Blinde sehend nicht nur mit den Augen, sondern auch und vor allem mit seinem Herzen. Geben wir auch unseren Dank, unser Lob und unsere Anbetung Gott, dem Herrn.
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