Unsere Feinde lieben? Diejenigen, die uns hassen, wohl tun? Ja, weiss denn Jesus, wovon er da spricht? - Oh ja, Er weiss es! Am Kreuz selbst bat Er: "Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!" (Lukas 23,34). Er bat um die, die Ihn ans Kreuz gebracht und dort festgenagelt haben, die Ihn zuvor gefoltert, geschlagen, angespuckt, gedemütigt, beleidigt hatten und nun um Seine Kleider würfelten. Jesu Reden und Jesu Handeln haben immer einhunderttausendprozentig übereingestimmt!
Darüber hinaus weiss Jesus eines: Hass macht nicht nur hässlich, sondern krank. Bertolt Brecht schrieb in einer seiner Balladen, dass auch der Hass auf das Böse die Gesichtszüge entstellt. Es ist besser, seine Feinde zu lieben, denn wer auf Hass seine Energie richtet, macht sich selbst unglücklich. Warum die Zeit vergeuden mit Hass, der nicht fruchtet? - Liebe hingegen macht freundlich und entzieht dem Feind den Wind in seinen Segeln.
Und denen wohl zu tun, die einen hassen, entzieht jenem Personenkreis die Grundlage und die Argumente für den Hass. Oft entstanden sogar innige, tiefe, stabile Freundschaften, weil der Eine demjenigen, der gehasst hat, etwas Gutes getan hat. Überdies ist Güte im Grunde die beste Rache: Wer seinem Feind etwas Böses tut, gibt diesem im Grunde Recht. Wer ihm wohltut, setzt ihn ins Unrecht. Zudem unterbricht es die Spirale von Gewalt und Gegengewalt.
Ich segne lieber denjenigen, der mich verflucht, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass es mich selbst entlastet. Nicht von Hass und Rachegelüsten zerfressen, behalte ich so den Blick für das Wesentliche. Ich vergeude meine Kraft nicht in sinnlosen Geplänkeln. Wenn ich den Anderen verfluche, mache ich mir den eigenen Kreislauf kaputt und setze mich dem vergrösserten Risiko aus, Magengeschwüre oder Herzkrankheiten zu bekommen. Macht so etwas denn wirklich Sinn? Segne ich denjenigen, der mich verflucht, dann läuft dessen Hass ins Leere, und die Tür zur Versöhnung bleibt offen.
Wer darüber hinaus für die bitten kann, als einen zu beleidigen, wer vor Gott für sie eintritt, vergibt ihnen und baut so die Grundlage, dass die eigenen Sünden vergeben werden, denn Jesus sagt nach dem Vater unser eindeutig, dass nur denen die Schuld vor Gott vergeben wird, der selbst vergibt. Das Gleichnis vom Schalksknecht, der selbst um Gnade bittet, aber hartherzig seinem Nächsten die Schuld nicht erlässt, fliegt am Ende selbst in den Schuldenturm, aus dem es dann für ihn kein Entfliehen mehr gibt. So ist es auch mit dem Schuldenturm für uns Sünder, der Hölle: Wer dorthin kommt, um abzubüßen, findet keinen Frieden mehr mit Gott, sondern ist auf ewig verloren, ein zu hoher Preis für eine kurze irdische Schadenfreude.
Die andere Wange hinzuhalten, fällt sehr schwer: Es erfordert grosse Selbstbeherrschung, hatte aber in der jüdischen Tradition und den damaligen Werten einen tieferen Sinn: Wer auf die linke Backe schlug, schlug mit der Handinnenseite zu; die dargebotene rechte Backe zwang den Schlagenden, mit der Aussenhand zu prügeln, und damit gab man die Demütigung zurück an den, der das Schlagen anfing. Es kam faktisch einem Gesichtsverlust gleich, eine schmerzliche Erfahrung für stolze Orientale. Meist kam dann eine Versöhnung heraus, mit der dann beide gut leben konnten. Auch für uns wäre ein solches Friedensangebot günstiger als jahrelange Streitigkeiten. Im Grunde geht es meistens ohnehin um Bagatellen.
Schwer tue ich mich mit der Aufforderung, zum Mantel auch den Rock - also heutzutage - die Hose mitzugeben, ausgerechnet auch noch, wenn der Mantel "geklaut" wurde. Doch ich habe begriffen, dass es nicht darum geht, sich bestehlen zu lassen, sondern darum, genauer hinzusehen: Vielleicht treibt die Not jemanden dazu, dass er stiehlt. Wenn dem so ist, soll er zwar mit den Konsequenzen seines Diebstahls konfrontiert werden, aber auch notwendige Hilfen bekommen, dass er nicht klaut. Vielleicht bedarf es eines Arbeitsplatzes oder etwas Ähnlichem.
Auch von den Bittenden brauchen wir uns nicht direkt abzuwenden: Es heisst ja nicht, dass wir uns ausbeuten lassen sollen, und Brot, das man nicht hat, kann man ohnehin nicht teilen. Nicht zurückfordern von dem, der uns nimmt, hat einen weiteren Sinn: Beim Mitgeben eines weiteren Kleidungsstückes, bei der Erfüllung einer Bitte, beim nicht zurückfordern des Eigenen geht es auch darum, ob uns der Mensch mehr interessiert als das Materialistische. Hierbei fordert uns Christus auf, die Anderen in ihrer Gänze zu sehen, nicht nur ihr Tun und ihr Bitten, sondern auch ihre Not und ihre Hilflosigkeit zu sehen. Dann wird auch unser Urteil nicht nur menschlicher, sondern auch objektiver.
Die Goldene Regel, die uns auffordert, die Leute so zu behandeln wie wir es von ihnen wünschen, ist so simpel wie logisch: Wer selbst höflich behandeln werden möchte, tut doch im Grunde gut daran, selbst höflich aufzutreten. Dabei erinnere ich mich an einen ehemaligen Arbeitskollegen, mit dem ich im Objektschutz zusammenarbeitete: Jeden überzog er mit dem Begriff: "Du schwuler Bankert!". Und wenn es nicht nach seinem Kopf ging, dann schimpfte und schrie er und wunderte sich am Ende, dass niemand der Kollegen, Vorgesetzten und Kunden etwas mit ihm zu tun haben wollte. Verhalten wir uns aber anderen gegenüber so, wie wir es von ihnen erwarten, dann tun die Anderen sich leichter, uns auch gut zu behandeln. Wer "Bitte" und "Danke" sagen kann, wer einem Anderen auch nur mit einer Kleinigkeit hilft, ist überrascht, dass die Welt um ihn freundlicher und entgegenkommender wird. Wer hingegen andere betrügt, darf sich nicht wundern, wenn auch er belogen wird. Im Englischen heisst das: "You get, what you give!" ("Du bekommst, was du gibst!").
Letztendlich ist es keine Kunst, berechnend zu sein und nur diejenigen zu lieben und zu denjenigen gut zu sein, die es auch zu uns sind. Wer gütig zu seinem Feind sein kann, beweist hingegen menschliche Grösse. Und überhaupt: Ist nicht durch das Berechnende die Menschlichkeit untergegangen? Klar: Es sollte eine Ehrensache sein, Geliehenes pfleglich zu behandeln und pünktlich zurückzugeben. Aber andererseits geht es nicht immer. Mancher erhält noch einen Rückschlag, den er nicht vorausgesehen hat oder hat sich übernommen mit dem, was er plante. Wer hier grossmütig sein kann, erfährt oft sehr viel Hilfe, wenn es bei ihm brennt.
Wer seine Feinde liebt und das Gute ohne Berechnung tut, der handelt uneigennützig, der meint es mit seiner Nächsten- und Gottesliebe ernst. Viele Heilige haben genauso gehandelt. Nikolaus - es gab ihn wirklich - hat die Kinder der Armen beschenkt und dies heimlich getan. Ihm wäre wohler gewesen, wenn man ihn nicht dabei "erwischt" hätte. Sein Handeln war von Liebe bestimmt, nicht von Berechnung.
Jetzt mal ganz ehrlich: Sind unsere Arbeitsbedingungen nicht so schlecht geworden, weil alles aus Berechnung geschieht? Überstunden und Engagement für besseren Lohn und Karriere auf der einen, Dumpinglöhne und unbezahlte Praktika auf der anderen Seite geschehen doch aus Berechnung. Auf lange Sicht ruiniert dies Unternehmen, weil es irgendwann zu Frustrationen kommt. Wer aber die Aufgabe sieht, mit der er betraut ist und diese ordentlich macht, weil er sich darauf konzentriert, hat weniger Stress, und wer seine Mitarbeiter anständig bezahlt, sorgt dafür, dass sie zum Einen motiviert, zum Anderen mit dem Kopf ganz bei der Sache sind und nicht bei ihren Sorgen.
Und warum nicht Gutes tun um der Liebe, um Christi Willen? Warum nicht mal etwas Verschenken, so man kann? Bei den Indianern Nordamerikas misst sich der Reichtum in dem, was einer verschenkt und nicht daran, was einer hat. Manchmal gibt ein Indianer auch Dinge nur deshalb ab, weil ein anderer sich darüber freut, woran der Indianer dann selbst seine Freude hat. Bei den ersten Christen war es genauso: Oft gaben sie ab, damit sich ein Anderer freut. Das tat ihrer eigenen Freude gut.
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