Als dieser Psalm geschrieben wurde, hatten Könige eine geradezu unumschränkte Macht: Was sie sagten, war Gesetz; in ihren Händen lag förmlich Leben und Tod. Ihre Regentschaft würde man heute als eine völlig totalitäre Diktatur bezeichnen. Zugleich waren Könige nicht nur Gesetzgeber, sondern auch oberste Richter: Sie konnten Urteile bestätigen, verschärfen, abmildern oder aufheben.
Widerspruch war zu gut wie undenkbar: Bis in die Antike hinein wurden Könige und Kaiser sogar als Götter verehrt, sogar über ihren Tod hinaus, und noch im Mittelalter war es praktisch nur dem Hofnarren erlaubt, dem König einen kritischen Spiegel vorzuhalten: Deshalb spricht man ja von der Narrenfreiheit. Doch jeder Hofnarr tat gut daran, seine Kritik diplomatisch vorzubringen, mochte sie auch noch so berechtigt sein, denn missfiel es dem König, dann lief selbst der Hofnarr Gefahr, mit dem Tode bestraft zu werden.
Gott aber als Schöpfer aller Dinge und Menschen steht selbstverständlich über uns allen, mögen wir in einer noch so herausragenden und machtvollen Stellung sein. Selbst Generaldirektoren, Vorstandsvorsitzende, Kommandanten, Oberbefehlshaber, Kanzler, Premiers, Ministerpräsidenten, Könige und Kaiser tun gut daran, sich von Gott weisen zu lassen, und auch Richter sind gut beraten, sich unter die Zucht Gottes zu stellen.
Das liegt daran, dass unser Wissen stets Stückwerk ist, dass wir Menschen unseren Mitmenschen immer nur vor den Kopf schauen können, dass wir auch von Emotionen und nicht allein von den Fakten geleitet werden und dass wir Vorurteile haben: Wir sehen die Dinge durch die Färbung unserer Brille, also unserer Einstellungen und Meinungen, die wir haben. Selbst Eltern schaffen trotz ihres Bemühens es nicht, allen ihren Kindern gegenüber stets gerecht zu sein. Auch Experten und Spezialisten stoßen trotz ihren hohen Qualifikationen an die Grenzen ihres Könnens.
Nehmen wir keine Weisung von Gott an, dann stolpern wir zwangsläufig über unsere eigene Fehlerhaftigkeit. Das ist insbesondere dann fatal, wenn wir in verantwortlichen Positionen sind. Insbesondere diejenigen, denen entsprechend viel Macht gegeben ist, laufen Gefahr, ihre Macht zu missbrauchen. Selbst ansonsten außergewöhnlich integere Persönlichkeiten können sich in ihrer Machtposition verlieren.
Aber auch Richter brauchen die Zucht, die Zurechtweisung Gottes, denn auch sie können sich nicht davon freisprechen, sich von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen. Ein Angeklagter, der gepflegt und gewandt auftreten und sich sehr gut artikulieren kann, hat vor Gericht einen besseren Stand als jemand, der sich weniger geschmackvoll kleiden kann, etwas tollpatschig ist und einen geringeren Wortschatz hat. Ist aber der Mann von Welt, der einen Einbruch begangen hat, weniger schuldig als derjenige, den man vielleicht als einen Proleten bezeichnen würde? Ähnliches gilt auch für Personalentscheider: Ist derjenige, der sich selbst gut verkaufen kann, wirklich die bessere Wahl als derjenige, der etwas plumper wirkt?
Doch auch als ganz einfache Menschen brauchen wir Gottes Führung: Es ist völlig gleich, wo wir gesellschaftlich und beruflich stehen: Stets kommen wir in Situationen, in der wir uns entscheiden müssen, die massive Auswirkungen auf unsere Existenz und Zukunft haben und die auch das Wohlbefinden derjenigen Menschen beeinflusst, mit denen wir es zu tun haben. Eine Fehlentscheidung - und mag sie auch noch so unbedeutend erscheinen - kann sehr negative Auswirkungen auf uns selbst und auf andere Menschen haben.
Mehr noch: Wenn wir nicht auf Gottes Zucht achten, werden wir schnell gleichgültig, phlegmatisch und zügellos. Wer Gott ausklammert, der interessiert sich nicht mehr für Seine Gebote. Sündhaftigkeit ist dann die verderbliche Folge. Alles fängt klein an, aber wird dann zu einer großen Katastrophe. Sodom und Gomorra haben auch mit den so genannten "kleinen Sünden" begonnen, bevor sie im Morast ihrer Unmoral versanken. Nehmen wir die Weisung Gottes in einem bestimmten Punkt nicht völlig ernst, dann lösen wir einen Strudel aus, der sich immer schneller bewegt und dessen Sog uns immer stärker nach unten zieht.
Auf die Weisung und die Zucht Gottes zu hören ist grundlegend wichtig, hängt doch unser Wohl und Weh davon ab.
|