Segen und gesegnet sein sind Begriffe, die heute nicht mehr besonders geläufig sind: Sie gehören zu den Worten, die leider mehr und mehr in Vergessenheit geraten sind. Heute spricht man lieber von Glück, von Spaß, von Fun, von Karriere machen, von "in sein". Doch alle diese modernen Formulierungen zeigen auch die Oberflächlichkeit der heutigen Zeit, in der es kaum noch um Tiefe geht.
Segen dagegen bedeutet mehr als ein oberflächliches, schnelles und kurzes Vergnügen, hinter dem oftmals schon Stress liegt. Manche sind nach den Ferien erst richtig urlaubsreif, weil sie in den schönsten Wochen des Jahres alles erleben, alles mitnehmen wollen, was ihnen das Leben bietet. Es ist schade und auch erschreckend, wenn Menschen nach Mallorca fliegen und dann in zwei, drei Wochen nicht mehr von der Insel gesehen haben als das eigene Hotel und den Ballermann.
Segen im biblischen Sinne umschreibt auch kein Wohlstandsevangelium, welches in charismatischen Kreisen so hoch gehalten wird: Gott verspricht uns in dieser Welt keinen Reichtum, keine Karriere, keine dauerhafte Gesundheit. Das Ende allen Leids erfahren wir erst in Seinem Königreich, nicht vorher. Es ist auch überheblich zu behaupten: "Wenn du nicht gesund bist, wenn dich Schicksalsschläge treffen, wenn du nicht reich wirst, dann glaubst du nicht genug!" Man spukt Christen in Verfolgung damit ins Gesicht, denn oft werden sie ihrer Existenzgrundlage - und sei noch so bescheiden - beraubt, und gerade in der arabischen Welt ist Christentum lebensgefährlich.
Auch bei uns in einem freien Land bedeutet Christ sein und der damit verbundene Segen nicht, dass wir den Jackpot knacken, dass wir ganz oben stehen, dass wir vom Tellerwäscher zum Millionär werden. Mancher macht rein äußerlich betrachtet sogar einen Abstieg durch. Krisenzeiten aber stärken oft unser Vertrauen, unser Gebetsleben, unseren Glauben. Und hier beginnt schon der Segen, denn wer sich in einer völligen Abhängigkeit von Gott weiß, der konzentriert sich mehr auf Ihn.
Sicher: Gott hat nichts gegen Wohlstand und Reichtum, aber Er liebt die Armen und Bedürftigen genauso. Für Ihn stellt sich nicht die Frage, ob wir arm oder reich sind, und das Maß Seines Segens lässt sich nicht an Äußerlichkeiten messen. Gott fragt uns, wie wir mit der Situation, in der wir uns befinden, umgehen. Den Reichen fragt Er, ob dieser bereit ist zu teilen, ob er sich auf seinen Reichtum verlässt wie der Jüngling zu Nain oder bereit ist, für Gott diesen Reichtum auch aufzugeben. Den Armen fragt Gott, ob dieser bereit ist, soweit als möglich an seiner Bedürftigkeit etwas zu ändern, ob sich der Arme bedauert oder ob er Gott dankbar ist für das, was er hat und Gott vertraut.
Der Segen, den Gott uns gibt, ist vor allem der, dass wir Ihn als unseren Versorger, als liebenden Vater erkennen und Ihm kindliches Vertrauen entgegen bringen. Wenn ein Armer danken kann für Bett, Gesundheit und Brot, für ein Dach über dem Kopf und Kleidung, dann gewinnt er Kraft und Mut, denn er weiß, dass Gott ihn trägt. Wenn ein Reicher teilen kann, wenn er gerecht und wohlwollend den Bedürftigen gegenüber ist, dann lernt er, los zu lassen, dann sieht er, dass Geben etwas ist, womit man zwar kein Mehr an Materiellen hat, ja, dass man dann weniger Materielles für sich hat, aber trotzdem reicher geworden ist. In beiden Fällen besteht der Segen Gottes auch darin, dass man sich nicht um seine eigene Achse dreht. Wer im Kreise läuft, kommt trotz größter Kilometerleistungen nicht wirklich weiter.
Gottes Segen besteht in der Entwicklung, die wir durchmachen, einer inneren Entwicklung, die nicht auf die Güter dieser Welt setzt und nicht auf Äußerlichkeiten sieht. Im Grunde ist es doch heutzutage ein Fluch, wenn selbst Kinder von ihren Schulkameraden danach beurteilt werden, ob sie "coole Markenklamotten" tragen, das neueste Handy und den neuesten Computer mit den modernsten Spielen haben. Wer da nicht mithalten kann oder will, der ist out. Was ist mit den so viel zitierten inneren, wahren Werten? - Gottes Segen führt uns gerade dahin.
Ich selbst - eigentlich immer etwas nervös und hektisch - habe das erfahren, in dem ich ruhiger geworden bin und Älteren bzw. Behinderten leichter zuhören kann. Wenn ich bedenke, wie viel an Weisheiten und Einsichten ich dadurch gewonnen habe, bin ich froh, dass Gott mich gelehrt hat, besser hinzuhören. Dieses Zuhören hat sich zwar nicht in Euro und Cent bemerkbar gemacht, wohl aber im wirklichen Reichtum: Ich kann Dinge nun anders und besser beurteilen.
Gottes Segen ist also vor allem die Läuterung der Persönlichkeit von falschen Begierden, von Oberflächlichkeiten und äußerem Schein. Es setzt die persönliche Heiligung und damit auch die innere Heilung in Gang. Wie viele Menschen sind unzufrieden, weil sie die Schuld anderer Menschen nicht vergeben können und die eigene sie erdrückt? Schuld - fremde wie eigene - los lassen zu können, ist ein großer, heilsamer Segen.
Selbst in Krankheit, im Sterben zeigt Gott Seinen Segen: Mancher, der einen pflegebedürftigen Christen besucht hat, um diesen zu trösten, ging selbst gestärkt heraus. Viele Christen, die durch von ihnen nicht verschuldete Unfälle zu Invaliden wurden, konnten dem Schuldigen vergeben und wurden selbst im Rollstuhl zu hervorragenden Zeugen Jesu. Gottes Segen liegt im inneren Reifen, in der inneren Ruhe, in dem Frieden, den Er uns gibt. Es ist die Reifung, die Vorbereitung auf den Himmel, wo wir in Seinem Königreich leben und Seinen ganzen Segen erfahren werden.
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