Juda kannte Gott sehr gut und diente Ihm, doch es gab Zeiten, da dieser Dienst allenfalls Gewohnheit war, eine Pflichtübung, die man halt macht. Der Gottesdienst war nur noch leblose Tradition, etwas, an das man gewohnt war, das irgendwie Bestandteil des Lebens war wie vielleicht das flüchtige Gespräch unter Nachbarn. Vielleicht war der Gottesdienst auch etwas, was man immer so machte und wo man hin ging, weil man so erzogen worden war oder um einen guten Eindruck zu machen.
Das erinnert mich auch an heutige Zeiten: Mancher geht an hohen Feiertagen in die Kirche, weil es solche Hochtage wie Ostern oder Weihnachten abrundet. Man heiratet kirchlich, weil es irgendwie romantisch ist, man lässt die Kinder taufen, schickt sie zur Kommunion, zur Firmung oder zur Konfirmation, weil es schon immer so war und beerdigt seine Angehörigen kirchlich, weil es der Anstand so gebietet. Vielleicht geht man sogar regelmäßig zur Kirche, vielleicht ist man kirchlich auch engagiert. Die Frage aber ist: Warum tun wir das? Geht es uns dabei nur um Geselligkeit? Oder um die ausschließliche Pflege unseres Hobbys, z. B. der Einsatz im Kirchenchor, weil man gerne singt?
Ich möchte da engagierten Menschen nichts unterstellen, und es geht auch nicht um Verurteilung. Nein, freiwilliges Engagement ist sehr wichtig, und es ist auch erlaubt, seine Vorlieben, seine Hobbys einzubringen, denn man macht das am Besten, was man auch gerne tut. Gegen Kirchgang, gegen eine kirchliche Trauung ist ja eigentlich auch nichts einzuwenden, und ich selbst empfand es als tröstlich und stärkend, dass jene Menschen, an denen ich sehr hing, kirchlich beerdigt worden sind. Aber hinter allem muss unser Glaube, unsere lebendige Beziehung zu Gott stehen: Sonst ist unser Gottesdienst nicht echt und wird uns und vielleicht auch Anderen zum Fluch.
Was hat es denn für einen Sinn, am Karfreitag auf jegliches Fleisch zu verzichten, weil es ein Kirchengebot vorschreibt, einem aber Gott im Grunde egal ist? Wenn ich ohnehin nicht nach Gott frage, dann brauche ich auch zu Ostern und zu Weihnachten nicht in die Kirche. Wenn für mich Gebet nur ein Ritual für die Kinder ist, hinter dem ich nicht stehe, dann ist dieses Gebet von mir nur Heuchelei.
Das ist ähnlich wie mit unseren Alltagsfloskeln: Wir sagen "Guten Morgen" und "Guten Tag", weil es sich so gehört. Wir fragen den Anderen, wie es ihm geht, weil es höflich ist, nicht aber, weil es uns wirklich interessiert. Deshalb nimmt diese Floskeln keiner mehr wirklich ernst. Wie oft ist auch eine Entschuldigung oder ein Danke schön nur noch eine leere Worthülse? Aber wie gut fühlen wir uns, wenn wir merken, dass ein Gruß ernst gemeint ist, dass es unseren Gegenüber wirklich interessiert, wie es uns geht, wenn eine Entschuldigung oder ein Danke schön von Herzen kommt?
Bei Gott ist es genauso: Er möchte keine Pflichtübungen, keine Gewohnheiten, die wir blind begehen. Er möchte nicht, dass wir aus Gründen des guten Tons in die Kirche gehen oder gar, weil wir die Rolle des scheinbar Frommen besonders gut spielen wollen. Gott möchte, dass wir Ihm von Herzen und aus Liebe zu Ihm das tun, was Er uns gebietet. Er möchte Kinder haben und keine Bürokraten, die funktionieren. Er möchte liebende und flammende Herzen haben und keine Roboter. Von Tonträgern kann Gott sich auch Gebete anhören, doch das sind seelenlose Produkte. Wir sind keine Zirkustiere, die das zeigen, was ihnen beigebracht wurde, weil sie dafür Leckerlis bekommen, und wir sind keine Sklaven und Befehlsempfänger, die im Glaubensleben eine To-do-Liste abarbeiten und abhaken wie eine Checkliste.
Wenn aber unsere Liebe dahinter steht, dann sind wir im Gottesdienst zwar noch lange nicht perfekt, doch Gott gefällt unsere Liebe, unsere Bereitschaft, unsere Treue. Wer freut sich denn nicht über das Bild seines kleinen Sohnes oder seiner kleinen Tochter, welches gemalt wurde, um uns zu erfreuen, auch wenn es im Grunde "nur" ein einziges Gekritzel ist? Wer freut sich nicht über das holprige, aber dafür selbst geschriebene Gedicht, stotternd vorgetragen, wenn man bemerkt, dass sich der Betreffende Mühe gegeben hat?
Ich habe selbst öfters einmal Hochzeiten und Geburtstage sowie Jubiläen bedient: Die schönsten Feste waren die, in denen sich die Gäste für den oder die Gastgeber selbst etwas haben einfallen lassen, statt den Alleinunterhalter kommen zu lassen, weil hier Mühe dahinter stand. Auf dem Friedhof, auf dem meine Eltern beerdigt sind, gab es einen Grabstein, den die Angehörigen selbst angefertigt haben, weil sie für einen bestellten kein Geld hatten; es war ein einfacher Grabstein aus günstigem Material, doch er war - das fanden alle - der schönste Grabstein, den der Friedhof hatte.
Gott geht es also nicht darum, dass wir den Grand Prix gewinnen oder ein Casting bestehen, wenn wir singen. Wir müssen nicht im Entferntesten so musikalisch sein wie Mozart oder Beethoven, und unsere Stimme muss nicht so schön sein wie die von Rudolf Schock. Aber unsere Hingabe verlangt Er. Wir müssen mit unseren Gebeten keinen Literaturpreis gewinnen, doch Gott möchte unsere Ernsthaftigkeit dabei. Ihm geht es dann wie der Mutter, die sich freut, wenn ihr Kind vielleicht zu einer unpassenden Zeit sagt: "Du, Mama, ich liebe dich!"
Ein Pastor sagte einmal: "Ich habe noch nie eine Gemeinde mit solcher Inbrunst falsch singen gehört!" - Gott geht es nicht um unsere Musikalität, sondern um unsere Inbrunst: Der Gesang jener Gemeinde hat Gott mehr gefreut als die Sangeskünste eines Künstlers, der sich davon nur Ruhm erwartet. Es ist nicht wichtig, ob unsere Gebete für ein Gebetbuch taugen, es ist wichtig, dass wir damit Gott die Ehre geben und Ihm mit unseren Bitten zeigen, dass wir Ihm vertrauen und unser Dank ehrlich ist. Gott will in Seinem Dienst keine Blender oder Prahler, sondern Überzeugungstäter.
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