Die Pharisäer interessierten sich für Jesus, denn Er hatte einen großen Zulauf: Menschen kamen zu Ihm, weil Er mit Vollmacht predigte, weil Seine Lehre und Sein Leben miteinander in völligem Einklang waren, weil Er Kranke heilte, Tote erweckte und Sünden vergab. Jesus scheute sich auch nicht, auf Außenseiter einzugehen, und Er war bekannt dafür, dass Er mit Sündern verkehrte.
Zwischen Jesus und den Pharisäern herrschte ein schwieriges Verhältnis: Die Meisten hassten Ihn, weil Er ihren Einfluss untergrub und nach der Meinung der Pharisäer gegen das mosaische Gesetz verstieß. Pharisäer wie Nikodemus allerdings befragten Ihn und Mancher - wie auch letztendlich Nikodemus - bekehrten sich sogar zu Jesus. Doch in der Regel bekämpften die Pharisäer Jesus. Dennoch wurde Jesus wie von Simon eingeladen, weil man mehr über Ihn, den Propheten und Wanderprediger erfahren wollte.
Zum Entsetzen des Pharisäers kam eine große Sünderin herein, die Jesus die Füsse küsste, Jesu Füsse mit ihren Tränen benetzte und ihren Haaren trocknete und Jesu Füsse salbte. Simon flüsterte in sich hinein, dass Jesus doch wissen müsste, dass diese Frau eine Sünderin war, galt Jesus doch als Prophet. Jesus aber, der alle Herzen kennt, wandte sich an Simon, erzählte ihm ein Gleichnis von zwei Schuldnern, die nicht zahlen konnten, wovon einer "nur" fünfzig Groschen schuldete, der andere aber 500. Der Gläubiger erließ beiden die Schuld. Auf Jesu Frage, wer den Gläubiger mehr liebe, antwortete Simon mit der Vermutung, dass wohl derjenige mit der grössten Schuld den Gläubiger die meiste Liebe entgegen brächte. Das hat ja auch seine Logik.
Damit brachte Jesus zugleich zum Ausdruck, worauf es Gott ankommt: Auf unsere Herzenshaltung! Wie die Frau in dieser Geschichte müssen wir uns bewusst sein, dass wir vor Gott Sünder sind. Dabei kommt es nicht darauf an, wie groß und wie umfangreich unsere Schuld ist: Gott ist in Seiner Reinheit, in seiner Majestät so unbeschreiblich heilig, dass Er selbst die geringste Sünde in Seiner Gegenwart nicht dulden kann. Vor Gott kann derjenige, der "bloß" eine unbedeutende Büroklammer entwendet, also gestohlen hat, genauso wenig bestehen wie ein Massenmörder. Das mag uns ungerecht erscheinen, doch Gott würde Seine Heiligkeit verraten, wenn Er auch nur die aller kleinste Sünde durchgehen ließe: Damit wäre ein Dammbruch die Folge, der immense Konsequenzen nach sich zöge; letztendlich würde dann der Teufel als Sieger hervor gehen und Gott vom Thron stoßen. Glücklicherweise geht das nicht.
Gleichzeitig warnt Jesus uns vor unserer Selbstgerechtigkeit: Wie oft rümpfen wir die Nase über die Fehler und Sünden unserer Verwandten, Freunde, Nachbarn, Kollegen und Kameraden und übersehen dabei unsere eigene Schuld? - Wir sehen den Splitter im Auge unseres Gegenübers selbst dann, wenn dieser Splitter sehr klein und kaum wahrnehmbar ist, aber wir laufen mit einem Balken in den eigenen Augen umher und merken es nicht.
Offen gestanden bin ich hierin alles andere als eine Ausnahme: Ich kann mich über die Maßen aufregen, wenn ich einmal fünf Minuten warten muss, aber bin großzügig, wenn ich selbst einen Termin völlig verschwitze. Ich vernehme den versehentlichen, verbalen Ausrutscher des Anderen sehr genau und erinnere mich lange daran, vergesse aber selbst bei mir sehr schnell, dass mein Sprachstil oft genug zu wünschen übrig lässt. Oft genug könnte ich mit meinen sprachlichen Patzern eine riesengroße Biogasanlage am Laufen halten, doch der kleine Versprecher meines Gegenübers stört mich mehr als meine Ausrutscher.
Jesus weist Simon auf einige Nachlässigkeiten hin: In der arabischen Welt ist es üblich, den Besuch auf die Wange zu küssen, um ihn willkommen zu heißen und den Frieden zu wünschen. Wegen des Staubs, den es damals auf den Strassen gab, welche man nur barfuß oder in Sandalen beschritt, wusch der Gastgeber seinen Gästen die Füsse und ölte als Willkommensgruß das Haupt. All das hat Simon vergessen, vernachlässigt, obwohl er als Pharisäer es sonst mit den Vorschriften und Geboten sehr genau nahm. Die Sünderin hingegen wusch mit ihren Tränen die Füsse Jesu, sie küsste dessen Füsse und ölte sie mit einem teuren, wertvollen Öl, für das sie sicher hat sparen müssen. Sie erweist Jesus alle Liebe, die sie zu geben vermag und vernachlässigt nichts.
Ihre Tränen zeigen zudem, dass sie sich bewusst über ihre Schuld, ihre Sünden ist. Nichts, aber auch wirklich nichts wird von ihr beschönigt. Sie sucht nach keinen Entschuldigungen, sie gibt keine fadenscheinigen Erklärungen ab, sie beruft sich nicht auf eine ach so schwere Kindheit und Jugend, obwohl sie vielleicht eine solche hatte. Nein, sie gibt ihre Schuld bei Jesus ab, weiß, dass sie Seiner Gnade, Seiner Barmherzigkeit, Seiner Vergebung bedarf. Da gibt es kein Wenn, kein Aber, keine Selbstgerechtigkeit, keine Schönfärberei. Ich hoffe, dass der Herr mir eine solche Ehrlichkeit beschert, denn ich weiß von mir, dass ich gern die Augen verschließe vor meinem eigenen Versagen. Ich bin mehr wie der Pharisäer, ja, ich übertreffe diesen sogar bei weitem in meiner Selbstgerechtigkeit.
Ja, natürlich, ich bin ein Sünder, ich weiß, dass ich aus Gnade gerettet bin, obwohl ich es eigentlich gar nicht wert gewesen wäre. Doch dann kommen schon meine Ausreden, mein Eigenlob: Eigentlich bin ich ja doch ein ganz Lieber, ganz Sanfter, ich tue ja hier und da manchmal etwas Gutes. Es wäre allerdings nur ehrlich von mir, wenn ich zugeben würde, dass mein "Gutmenschentum" eigentlich sehr viel mit Berechnung zu tun hat, und dort, wo es nicht so ist, da kann ich dem Herrn nur für Seine Gnade danken. Diese Erkenntnis lässt mich ein gutes Stück bescheidener werden.
Und mal ehrlich: Wer sündigt nicht in seinen Gedanken, Worten und Werken? - Damit will ich mich jetzt wirklich nicht herausreden, doch ist es nicht so, dass wir uns oft genug einen Ehebruch ausgemalt haben? Wie oft sind wir schadenfroh? Oder schauen weg, wenn ein Kind weint, wenn jemand unsere Hilfe braucht? Wie sieht es mit unseren Krankenbesuchen aus? Und wie vielen haben wir schon regelrecht die Pest an den Hals gewünscht? Wenn Blicke töten könnten - so eine altbekannte Redewendung. Zum Glück können Blicke nicht töten, sonst wäre ich oft genug der reinste Amokläufer gewesen!
Dabei hat sich Simon ganz sicher Mühe gegeben, Gottes Gebote penibelst einzuhalten, ganz sicher hat er pünktlich seinen Zehnten gegeben und lieber etwas mehr als etwas zu wenig. Sicher war Simon das, was man eine ehrliche Haut nennt, und er hat sich ganz bestimmt in der Synagoge engagiert. Gebete und Schriftstudium waren für ihn genauso selbstverständlich wie die strikte Einhaltung des Sabbats. Und doch übersah er, dass er die Gnade Gottes, die Vergebung seiner eigenen Schuld brauchte. Es ist zu hoffen, dass er Jesus verstanden und er die richtigen Konsequenzen gezogen hat wie die Sünderin, deren Glaube sie befreite von Schuld und damit rettete.
Wenn ich mir bewusst mache wie groß meine Schuld vor Gott ist, dann wächst meine Liebe zu Jesus. Ich habe Sein Kreuz, das Er für mich nach Golgatha trug, schwer gemacht mit all meinen Lügen, mit meiner Selbstgerechtigkeit, meiner Arroganz, meiner Ausschweifung, meinen Besäufnissen .... Oh Herr: Ich kann Dir dafür niemals genug danken und niemals dafür genug Liebe entgegen bringen! Nehme das Wenige aus meinen Händen! Ich habe Dich so lieb!
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