Bloße Mitteilung oder mehr?
Waren die an die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem gerichteten Worte des Engels „Siehe, ich verkündige euch eine große Freude - euch ist heute der Heiland geboren“ eine nur zur Kenntnis zu nehmende Mitteilung (wie etwa die Kunde von der Geburt eines Königssohns) oder aber mehr? Vielleicht ergibt sich die Beantwortung dieser Frage aus dem Vergleich mit einer epochemachenden Begebenheit der deutschen Geschichte.
Als in der damaligen DDR immer mehr Menschen die Flucht der Unfreiheit vorzogen, wuchs nach einer Massenflucht von etwa 15.000 DDR-Bürgern im September 1989 über Ungarn nach Österreich auch innerhalb der DDR der Mut zum Aufbegehren. Dieser fand unter anderem in den Montagsdemonstrationen in Leipzig unter dem Motto „Wir sind das Volk“ seinen Ausdruck. Eine der Forderungen der Demonstranten lautete „Reisefreiheit statt Massenflucht“, was die DDR-Führung schließlich zum Entwurf einer Reiseregelung veranlasste. Dem Politbüromitglied Günter Schabowski oblag es, diese am 9. November in einer von 18 bis 19 Uhr angesetzten internationalen Pressekonferenz bekanntzugeben.
Unvergesslich sind die über Rundfunk und Fernsehen übertragenen Worte Günter Schabowskis vor Pressevertretern aus aller Welt, die am selben Tag den lange ersehnten Fall der Mauer zur Folge haben sollten:
„Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der Volkspolizeikreisämter in der DDR sind angewiesen, Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch die Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. […] Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur BRD bzw. zu West-Berlin erfolgen.“
Auf die Nachfrage eines Zeitungsreporters: „Wann tritt das in Kraft?“ antwortete Schabowski: „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.“
Damit nahm die Sache ihren Lauf. Zunächst treffen die ersten DDR-Bürger am Grenzübergang Bornholmer Straße ein, der am späten Abend unter dem Druck der Massen als erste Übergangsstelle geöffnet wird. Weitere Grenzübergangsstellen folgen. Viele mobilisieren telefonisch zu Hause gebliebene Angehörige und Freunde. Eine wahre Völkerwanderung setzt ein. Von der Westseite her wird die bis dahin unzugängliche Mauer bestiegen; die sogenannten Mauerspechte beginnen mit Hammer und Meißel symbolisch die Mauer abzutragen. Die DDR-Grenzorgane lassen sie gewähren und nehmen sogar ihnen überreichte Rosen entgegen, was noch Stunden zuvor undenkbar gewesen wäre.
Dem Fall der Mauer folgt Zug um Zug die Öffnung der gesamten innerdeutschen Grenze an immer mehr Übergangsstellen. Ein knappes Jahr später – am 3. Oktober 1990 – gehört mit der Wiedervereinigung die Grenzziehung zwischen Ost- und Westdeutschland endgültig der Vergangenheit an.
Und begonnen hatte das alles mit den epochemachenden Worten von Günter Schabowski. Wie epochemachend diese waren, zeigte sich an den Worten, mit denen am 9. November 2009 die offizielle Feier am zum 20. Jahrestag des Mauerfalls eröffnet wurde: „Was vor 20 Jahren in Berlin begann, hat bis heute die Welt verändert.“
Zu dieser weltumspannenden Veränderung wäre es nicht gekommen, wenn die an den Rundunkgeräten sitzenden Menschen die Botschaft Schabowskis als bloße Mitteilung zur Kenntnis genommen hätten und dann wieder zu ihrer gewohnten Tagesordnung übergegangen wären. Nein, die Menschen sahen sie als Ankündigung an, von der sie sich mobilisieren ließen. Dabei beruhte der gestammelte Halbsatz „Das tritt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich“ letztlich auf einem Versprecher von Günter Schabowski…
Um keinen Versprecher handelte es sich dagegen bei Worten, die vor über 2000 Jahren gesprochen wurden und Parallelen zum dem aufweisen, was am 9. November 1989 in Berlin geschah. Es sind die Worte des Engels an die Hirten in der Nacht der Geburt Jesu (Lukas 2,10+11): „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch eine große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ Wir lesen in der Geburtsgeschichte, dass die Empfänger der Nachricht diese (und die weiteren) Worte nicht als bloße Mitteilung zur Kenntnis nahmen, sondern sich von ihnen so bewegen ließen, dass sie
- sich aufmachten, um das, was ihnen verkündigt wurde, selbst in Augenschein zu nehmen (Vers 15),
- danach das, was sie gehört und vorgefunden hatten, weitersagten (Vers 16+17)
- und auch bei bzw. nach der Rückkehr in ihren Alltag von der verkündigten und selbst erfahrenen Freude so erfüllt blieben, dass sie Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten, lobten und priesen (Vers 20).
Was ist daraus geworden?
Zunächst nach Berlin: Die offizielle Feier zum 20. Jahrestag des Mauerfalls am Abend des 9. November 2009 wurde, wie oben gesagt, mit den Worten eröffnet: „Was vor 20 Jahren in Berlin begann, hat bis heute die Welt verändert.“ Das zeigt sich unter anderem daran, dass der Eiserne Vorhang, der jahrzehntelang Europa in zwei Blöcke geteilt und für die Konfrontation zwischen Ost und West gestanden hatte, gewaltigen - über Europa hinausreichenden - politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen weichen musste.
Nicht weniger gilt, was zum zweitausendsten Jahrestag der Geburt Jesu hätte gesagt werden können: „Was vor 2000 Jahren in Bethlehem begann, hat bis heute die Welt verändert.“
Am Anfang standen keine politischen Programme oder Pläne, sondern Menschen, die das, was ihnen gesagt wurde, nicht einfach nur zur Kenntnis nahmen, sondern es – wie fast 2000 Jahre später in Berlin geschehen – als Aufruf zu folgerichtigem Handeln verstanden. Dabei allein ist es nicht geblieben, sondern durch Weitersagen (ebenfalls wie am 9. November 1989 in Berlin) und Annahme der Botschaft kommt es zu veränderten Menschenherzen, die ihrerseits veränderte Verhältnisse bewirken.
An dieser Stelle soll keine Aufzählung erfolgen, aber ohne das Kommen Jesu in unsere Welt und ohne die Menschen, die sich von seinem Wort und Geist verändern lassen, sähe unsere Welt anders aus. Die Friedenszusage, die diesen Menschen gilt („Friede auf Erden den Menschen des Wohlgefallens“) bewegt sich in einer dem friedensstiftenden Wort des Evangeliums wenig Gehör schenkenden Welt noch im Spannungsfeld zwischen schon jetzt und noch nicht. Doch sie hat die Verheißung der vollen Erfüllung, denn „er [der König und Friedefürst] wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde sein“ (Sacharja 9,10). Diesem Friedensgebot wird er durch Machtbeweise in einer Welt absoluter Gottlosigkeit Geltung verschaffen. Doch ihm geht – solange noch Gnadenzeit ist - das Friedensangebot voraus, das jedem Menschen gilt, der es mit dem nachstehenden alten Weihnachtslied hält:
Mit den Hirten will ich gehen,
meinen Heiland zu besehen,
meinen lieben heilgen Christ,
der für mich geboren ist.
Mit den Engeln will ich singen,
Gott zur Ehre soll es klingen
von dem Frieden, den Er gibt,
jedem Herzen, das Ihn liebt.
Mit den Weisen will ich geben,
was ich Höchstes hab im Leben,
geb zu seligem Gewinn
Ihm das Leben selber hin.
Mit Maria will ich sinnen
ganz verschwiegen und tief innen
über dem Geheimnis zart:
Gott im Fleisch geoffenbart.
Mit Dir selber, mein Befreier,
will ich halten Weihnachtsfeier;
komm, ach komm ins Herz hinein,
lass es deine Krippe sein.
(Emil Wilhelm Quandt, 1835 – 1911)
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