Darum seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.
Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben.
Lukas 6, 36+37 (Luther 1912)
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Am heutigen Samstag war ich in Koblenz und habe zusammen mit einigen Geschwistern der Teestube Traktate verteilt; ich selbst verteilte das Traktat "Freude durch Vergebung" des Missionswerkes "Die Bruderhand". Eine Frau blieb kurz stehen, las den Titel und meinte sehr zynisch: "Ich vergebe niemanden!"
Mir tut diese Frau leid: Was muss sie wohl erlebt haben, dass sie so reagiert? Vor allem: Wieviel Ballast schleppt sie unnötig herum, und wieviel Energie verschwendet sie auf Rache- und Hassgedanken? - Im Grunde macht sie sich selber fertig. Wer nicht zu vergeben vermag, wird immer bitterer und immer verwundbarer; die Last, die er trägt, wird unwillkürlich immer grösser bis man dann irgendwann seelisch und körperlich vollends erschöpft zusammenbricht.
Sicher: Vieles in unserem Leben hat große Wunden hinterlassen. Lügen zerstören nicht nur Vertrauen, sondern auch Lebenswege und oft auch Existenzen. Durch falsches Zeugnis im Zuge von Mobbing ist mancher in die Langzeitarbeitslosigkeit abgeglitten. Manche gesunde Firma musste Konkurs anmelden und ihre Leute entlassen, weil die Zahlungsmoral auch der öffentlichen Hand total im Keller ist. Das sind nicht nur Einzelschicksale und statistische Zahlen, dahinter stecken Arbeitskräfte, Erfahrungen und Familien! Damit hat man schwer zu kämpfen. Und wer Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist, für den ist es sehr schwer zu vergeben, und vergessen wird er das Verbrechen als solches niemals. Traumatisierungen hieraus lassen sich nicht einfach ausziehen wie eine Arbeitshose.
Doch wer vergeben kann, der entlastet sich letztendlich selbst: Er verschwendet seine Gedanken nicht sinnlos auf Rache und Hass, sondern versucht, mit dem Geschehenen zurechtzukommen. Zumindest sehr vieles lässt sich dann abgeben und vergessen, und Vergebung hat oft auch zur Folge, dass man einen Neuanfang wagen kann sowohl im eigenen Leben als auch mit dem, dem man vergeben hat. Aus manchem Todfeind ist dann ein Freund geworden.
Selbst unter Staaten, die einst Erz- und Erbfeinde waren, gelingt das: So wahr über Jahrhunderte hinweg das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich ein Schlechtes; nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges kam die Aussöhnung. Heute sind Deutsche und Franzosen nicht nur Verbündete, sondern auch Freunde über die Grenzen hinweg. Wir sind keine Erb- und Erzfeinde mehr.
Auch Michael Degen, der großartige deutsche Schauspieler, hat vergeben können; in seinem Buch "Nicht alle waren Mörder" konzentrierte er seine Gedanken auf die, die ihn und seine Mutter gerettet haben. Leider bleibt die leidvolle Erfahrung dadurch trotzdem bestehen, doch man tut sich leichter, wenn man sich auf die konzentriert, die gut zu einem waren oder sind als dass man Hass mit destruktivem Gegenhass begegnet, so begründet und verständlich dieser auch sein mag.
Nehmen wir Hans Rosenthal: Man hat ihn versteckt und dadurch vor den Mordbuben der Nazis gerettet; sicher hätte Hans Rosenthal allen Grund gehabt zu hassen und an Rache zu denken. Aber er war lieber dankbar denen, die ihm geholfen haben und gründete die Hans-Rosenthal-Stiftung, die vielen Menschen, die unverschuldet in Not gekommen sind, geholfen hat. Das ist allemal besser als den Kreislauf von Hass und Gegenhass niemals zu durchbrechen.
Vergebung nimmt dem, der sich versündigt, den Wind aus den Segeln: Wenn ich weiß, dass derjenige, an dem ich mich versündigt habe, mir vergeben hat, dann muss ich ein schon sehr abgestumpftes Gewissen haben, wenn ich dann nicht beschämt wäre. Ein abgestumpftes Gewissen aber macht den Menschen hart und bitter und unmenschlich. Und wer möchte mit einem verbitterten Menschen gerne umgehen, der nur nach Rache schnaubt? Solche Menschen sind sehr schwierig.
Es gibt wirklich Freude, wenn man vergeben kann. Vergebung macht vieles frei und gibt neue Kraft. Doch auch Vergebung empfangen zu können ist ein Vorteil; sie macht bescheiden, weil man sich der eigenen Unzulänglichkeit bewusst wird. Wer weiß, dass er selbst Vergebung braucht, tut sich leichter damit, selbst zu vergeben. Manches Ehe- oder Freundespaar ist nicht deshalb glücklich, weil es keinen Streit gäbe, sondern deshalb, weil man einander vergeben kann.
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